Tensho - Rotierende Hände?

 

 

 

 Tenshō (jap. 転掌) ist eine Kata des Goju Ryu, und sie nimmt in diesem Stil eine wichtige Schlüsselrolle ein. So wichtig, dass sie von Hokama Tetsuhiro als die wichtigste Form neben der Sanchin betrachtet wird! Oftmals wird Tensho als „drehende“ oder „rotierende Hände“ übersetzt. Daher vermuten einige Forscher die Verbindung zu der älteren aber verschollenen Kata „Rokishu“. Andere sehen eine klare Verbindung zu den 6 Ji Händen (auch 6 Windhände genannt), welche man im legendären Bubishi wiederfindet. Angeblich soll Miyagi Chojun, welcher die Kata erschaffen hat, sich auf eben jenes Bubishi als Inspirationsquelle bei der Erschaffung seiner Tensho Kata berufen haben. Soviel zu Legenden und mündlichen Traditionen.

 

Doch wie sehen die Fakten dazu aus? Wie gewöhnlich möchte ich meine Betrachtung mit einer Analyse der Kanji beginnen, mit welchen die Kata geschrieben wird. Und man es kaum glauben, manchmal sind die Tatsachen „mythischer“ als der Mythos selbst…….

 

Laut dem „Übersetzer meines Vertrauens“ (www.jisho.org), kann man die Kanji wie folgt übersetzen:

 

    = revolve, turn around, change

 

    = manipulate, rule, administer, conduct, palm of hand

 

So entsteht, wenn man das Motto der Kata betrachtet, die naheliegende Übersetzung der rotierenden Hände bzw. Handflächen. Doch sieht man genauer hin, lassen sich auch andere Kombinationen logisch daraus ableiten. Mein Favorit ist dabei eine Wort Kombination aus „wandeln / verändern“ und „manipulieren“! Denn so klar wie sich für einen Anfänger das Bild der drehenden Hände erkennen lässt, so klar wird dem Fortgeschrittenen die Bedeutung der Kata in Zusammenhang mit den letzten beiden Attributen! Eine wunderbare Erklärung hat mein Freuden und Schüler Alexander Nees bei einem unserer letzten gemeinsamen Uchi Deshi Trainings formuliert. Er sagte mir, dass er bei der Entschlüsselung der Bewegungen aus den Goju Ryu Kata oftmals das Gefühl habe, dass etwas fehle. Eine Art „Übergang“ zwischen den Bewegungen, um diesen flüssiger zu machen, logischer, und vor allem unter mehr Kontrolle über den Gegner. Gelichzeitig habe er das Gefühl (berechtigt, meine Freund!), dass sich der Schlüssel zu diesen Übergängen in der Tensho verstecken würden. Und ganz genau das ist der Fall! Das meistern der Tensho ist nicht irgendein, sondern DER Schlüssel, um die Logik und effiziente Eleganz der Goju Ryu Kata zu entdecken. Dabei VERÄNDERT die Beherrschung der Elemente in der Tensho nicht nur grundlegend das Verständnis aller anderen Kata, sondern MANIPULIERT dabei auf gekonnte Weise den Gegner, um diesen komplett zu kontrollieren. 

 

Doch gehen wir in unserer Beweisführung weiter. Die verschollene Kata Rokishu soll Miyagi Chojun als Grundlage für die Kata gedient haben. Da es aber weder auf Okinawa noch in China eine Kata mit diesem Namen gibt, ist es fragwürdig, ob diese nicht in das Reich der Überlieferungsmythen gehört. Natürlich ist es möglich, dass sie (ähnlich wie bei der Verbindung Pinan zu Channan) einfach irgendwann ersetzt und / oder nicht mehr überliefert wurde. Dennoch können wir heute nicht mit Sicherheit sagen, wie diese Kata einmal ausgesehen haben muss. Daher und um uferlose Spekulationen zu vermeiden: Fall geschlossen! Für heute 😉

Eine der 6 Ji Hände aus dem Bubishi
Eine der 6 Ji Hände aus dem Bubishi

 

 

Der letzte Hinweis ist die Vermutung, dass Miyagi durch das Bubishi inspiriert wurde. Diese Vermutung ist aus zwei Gründen logisch und naheliegend. Denn erstens gilt es als historisch gesicherte Erkenntnis, dass Miyagi sich bei der Namensgebung  „Go Ju Ryu“ bereits auf das Bubishi bezog, und zweitens bildet das Bubishi die sogenannten 6 Ji Hände ab. Diese könnten als Motiv für die Tensho gedient haben. Bei den „6 Windhänden“ handelt es sich um Abbildungen von offenen Händen bzw. Handtechniken, die auf den ersten Blick den offenen Handtechniken der Tensho stark ähneln. Doch eben nur auf den ersten Blick! Denn bei genauer Betrachtung sind nur zwei Handpositionen der Tensho ähnlich, die anderen überhaupt nicht in der der Tensho enthalten! Zwei von sechs, und dann nicht mal genau wie in der Kata, sondern nur ähnlich? Das reicht mir nicht als Beweis, um ganz ehrlich zu sein.

Die Sequenz "Two hands worshipping the Buddha" aus den 48 Kempo Techniken des Bubishi. Die Handposition des Verteidigers erinnert stark an die Tensho
Die Sequenz "Two hands worshipping the Buddha" aus den 48 Kempo Techniken des Bubishi. Die Handposition des Verteidigers erinnert stark an die Tensho

 

Natürlich reichen meine oben angeführten Fakten bei weitem nicht aus, um als echte Theorie etwas zu untermauern. Aber sie weisen darauf hin, dass vielleicht doch nicht alles einfach so ist, wie es uns in den Legenden aus Okinawa gerne erzählt wird.

 

 Zu guter Letzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass Miyagi vielleicht gar keine neue Kata kreiert hat, sondern auf seinen China Reisen ein dort längst gängiges Übungsmuster übernommen, und seinem Goju Ryu Format angepasst hat. Lam Sai Wing, historischer Zeitgenosse Miyagis und einer der wichtigsten Kung Fu Meister seiner Zeit, verfasste verschiedene Bücher über die chinesischen Kampfkünste. Auszüge aus seinen Büchern sehen besonders für Goju Ryu praktizierende interessant aus. Denn sein Buch über die „Tiger und Kranich Formen“ beinhaltet unter anderem Abbildungen wie diese:

 

 

Aber natürlich haben wir auch ein Video zum Thema Tensho für euch. Bei einem unserer letzten Uchi Deshi Trainings ist ein kleines Video mit verschiedenen Drills und Anwendungen entstanden, dass ihr hier finden könnt. Enjoy!