Die „Etymologie“ der Kata

Die „Etymologie“ der Kata

 

Die Kata, die wir heute üben, sind, egal wie „originär“ sie auch sein mögen, nur ein Derivat unserer Zeit. Ich weiß, das hören viele der so genannten „traditionellen Lehrer“ nicht gerne, da es ihnen scheinbar wichtig ist, dass gerade ihre Kata völlig unverändert seit Jahrhunderten vom Meister an den Schüler weitergegeben wurde. Aber das ist nicht so, und es wäre auch widersinnig. Widersinnig, weil jede Kunst, jedes Handwerk sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, und manchmal auf diesem Wege auch verbessert hat. Ob eine solche Verbesserung auch im Karat bzw. im Kobudo stattgefunden hat, darf man bezweifeln. Sicher ist, die heute von uns geübten Kata sind, zumindest in der Mehrzahl, moderne Entwicklungen oder nachbereitete Abzüge des Originals.

Itosu Anko, der Reformer und Entwickler vieler Kata
Itosu Anko, der Reformer und Entwickler vieler Kata

Sehen wir uns die Pinan Kata der Grundstufe an, so wissen wir bereits von vorne herein, dass Itosu Sensei diese Kata erst zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hat. Somit haben die Pinan Kata gerade mal etwas über hundert Jahre auf dem Buckel. Ebenfalls auf Itosu Anko gehen eine Vielzahl weiterer Veränderungen innerhalb der Kata zurück. Einige Forscher behaupten sogar, er habe die ursprüngliche Naihanchi Kata in drei Teile geteilt, und in den heute üblichen Shodan, Nidan und Sandan Versionen neu strukturiert. Nun, auch wenn dies nicht wirklich belegbar ist, so zeigt es uns doch sehr wohl, dass einige der alten Meister, sagen wir, kreativ mit der Überlieferung der alten Formen umgegangen sind. Dies finden wir jedoch nicht nur im Shorin Ryu, denn auch das Naha Te hat hier einige Beispiele zu bieten.

Miyagi Chojun, der Begründer des Goju Ryu
Miyagi Chojun, der Begründer des Goju Ryu

So ist zum Beispiel bist heute nicht final geklärt, woher eine große Anzahl der von Miyagi im Goju Ryu unterrichteten Kata ihren Ursprung haben. Die alt überlieferte These, Miyagi habe sie von seinem Lehrer, Higaonna Kanryo, erlernt, und dieser habe sie auch China mitgebracht, ist jedenfalls unlogisch und ebenso unhaltbar. Klar ist auch, das Miyagi Chojun einige der 12 Goju Ryu Kata höchst selbst entwickelt hat, namentlich Gikisai Dai Ichi, Gekisai Dai Ni und natürlich die Kata Tensho. Letztere soll er angeblich aus der älteren Kata „Rokishu“ (6 Windhände) erarbeitet haben, welche bereits im Bubishi erwähnt wird.

 

 

Doch sehen wir uns weiter um. Ein Blick in Richtung Uechi Ryu stellt klar, dass ein großer Teil der Kata des Uechi Ryu Curriculums aus den Händen von Uechi Kanbun selbst stammt (vgl. hierzu auch den letzten Blog Artikel über Uechi Ryu).

 

 

Somit kann zurecht gesagt werden, dass die heute überlieferten Kata zum größeren Teil erst im letzten Jahrhundert ihre heutige Form angenommen haben. Aber selbst innerhalb bestehender Schulen und Stile haben sich die Kata teilweise substantiell unterschiedlich von einander entwickelt. Dies liegt zum Teil daran, dass die unterschiedlichen Meister ebenso unterschiedliche Auffassungen vom Kämpfen hatten, zum Teil daran, dass sich bestimmte Gruppierungen klar von den anderen, bereits bestehenden Stilen abheben wollten.

 

Funakoshi Gichin - Rentan Goshini Karate Jutsu
Funakoshi Gichin - Rentan Goshini Karate Jutsu

Einen weiteren Beweis für die Veränderung und Entwicklung von Stilen und deren Kata finden wir in alten Publikationen der verschiedenen Meister. Allen voran dürfen hier wohl Funakoshi Gichin (der Vater des Shotokan) und Mabuni Kenwa (der Begründer des Shio Ryu) genannt werden. Beide Meister waren federführend in ihrer Zeit, und haben als erste umfassende Bücher zu ihren jeweiligen Stilen veröffentlicht. Ebenso waren beide große Visionäre und Reformer, und haben massiv dazu beigetragen, dass Karate zu dem geworden ist, was es heute in der großen Verbreitung ist. Funkaoshi hat zudem auch die Namen der Kata und auch teilweise deren Reihenfolge im Unterrichtsprogramm verändert. So wurden die Pinan Kata, welche er von seinem Lehrer Itosu gelernt hatte, in Heian Kata umbenannt, und kurzerhand auch die Reihenfolge von Pinan Shodan und Nidan vertauscht.

 

 

In Funakoshis Büchern können wir ausführliche Abbildungen über die Ausführung diverser Kata. Für Interessierte habe ich hier einen Link zu seinem 1926 veröffentlichtem Buch „Rentan Goshin Karate Jutsu“ angehängt.

 

 

Die Geschichte, dass Kata unveränderlich über die Generationen überlebt haben, ist ein wunderschöner Mythos! Aber eben auch nicht mehr als das………

 

 

 

https://issuu.com/robertorip/docs/funakoshi-retan1926

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Blueberry~パフェ (Samstag, 30 Dezember 2017 18:19)

    Guten Tag,

    Leider bin ich nicht allzu bewandert der Historie der Kata und sie betrifft mich hobbytechnisch gesehen auch nicht, weswegen die folgende kleine Anmerkung eventuell etwas provokant wirken könnte.
    Dies ist jedoch in keinstem Wege meine Absicht.
    Ich wollte lediglich kurz etwas zu der Lesung der Kanji anmerken, wenn es mir gestattet ist.
    Was die Kanji 錬膽護身 und 富名腰義珍著 angeht, ist die Lesung im Gegensatz zur Bildunterschrift "Rentango(u)shin" und zweiteres ist etwas unklar aber die letzte Silbe der Umschrift scheint zu fehlen. 珍 kann "chin" gelesen werden aber was ist mit dem darauffolgenden 著 ? Auf Chinesisch wäre es Zhēnzhe (Schatz, Kostbarkeit) aber im Japanischen existiert die Kombination nicht (mehr). Bei sowohl der Ausprache als auch Bedeutung wäre die naheliegendste Lesung wahrscheinlich 珍著 "chincho" da es dem japanischen Equivalent 珍重 "chinchō" am meisten ähnelt.
    Ich würde mich sehr freuen wenn Ihnen meine Anmerkung in irgendeiner Weise nützlich war und eventuelle Misinformation vermieden werden kann.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Ein Interessent an der Japanologie

  • #2

    Andree Kielholtz (Freitag, 12 Januar 2018 18:07)

    Sehr geehrter Blueberry Parfait,
    zuerst einmal vielen Dank für den tollen und äußerst qualifizierten Kommentar! Ich freue mich immer sehr über Feedback, besonders wenn qualifiziert, sachlich und vor allem in einem gepflegten Ton kommentiert wird.

    Nun, Rentan Goshin ist, du ja selbst schreibst, der erste Teil der Bildunterschrift. Auf dem Buchumschlag von Funakoshis Werk findet man als nächste Zeile (in rot gehalten) die Kanji
    唐手術, also Tode Jutsu. Tode, auch als „China Hand“ übersetzt, ist einer der vielen Begriffe, die man vor der allgemeinen Einführung des Wortes „Karate“ (leere Hand) verwendete. Daher lautet der Titel des Buches „Rentan Goshin Tode Jutsu“.
    Das von dir angeführte 富名腰義珍著 ist somit quasi der Untertitel, wenn man so will. Über eine genaue Übersetzung von deiner Seite würde ich mich sehr freuen, da meine Japanisch Kenntnisse dafür leider nicht ausreichen.

    Zuletzt darf ich dennoch etwas fragen. Da dieser Artikel in unserem geschlossenen Mitglieder Bereich erschienen ist, darf ich davon ausgehen, dass du Mitglied bist. Daher sollte ich dich vermutlich persönlich kennen?