Naihanchi – Karate´s wichtigste Kata?
Teil 2
内歩進
Wie bereits im ersten Teil des Artikels beschrieben, wir die Kata Naihanchi oftmals mit „Kämpfen im Reisfeld“ übersetzt. Dies, weil der Enbusen (Schrittdiagramm) der Kata sich auf seitliche Bewegungen beschränkt. Daher vermuten einige Forscher auch, dass sie zur Verteidigung an einer Wand oder vor einem Tor benutzt wurde.
Hierzu muss gesagt werden, dass dies eine sehr eindimensionale Sichtweise auf diese Kata ist, und ich verweise auf eine Aussage von Mabuni Kenwa in Bezug auf die Bewegungsrichtung in den Kata: „Lass dich nicht täuschen! Nur weil du dich in der Kata nach links bewegst, bedeutet das nicht, dass dein Angreifer von links kommt!“. Was Mabuni mit dieser Aussage aufzeigen will, ist, dass die Kata nicht „wissen kann“, von wo genau der Angreifer kommt. Was sie uns allerdings zeigen kann, ist wie wir, bzw. in welcher Position zum Gegner wir stehen sollen, damit die entsprechenden Techniken aus der Kata auch in der Anwendung funktionieren. Da sich die Naihanchi auf die beiden Stellungen Naihanchi Dachi (bzw. Kiba Dachi oder Shiko Dachi, je nach Stil) und den Kosa Dachi bei den Übergängen beschränkt, lässt dieses Bewegungsmuster leicht vermuten, dass die Kata seitlich zum Gegner arbeitet. Im Bunkai sollte jedoch darauf geachtet werden, dass mit dem Gegner in allen Positionen, sprich vor, neben und hinter dem Verteidiger bearbeitet werden muss. Wie im Naihanchi Flow Drill Video gut zu sehen ist, kann die Position immer an den Gegner angepasst werden, und oftmals finden wir auch Wendungen darin wieder, die ich bereits in meinem Video „Naihanchi Turns“ gezeigt habe.
„Karate beginnt und endet mit Naihnachi“
Yabu Kentsu
Weitere technische Besonderheiten der Naihanchi
Die Kata scheint sich in der offensichtlichen Version ganz auf Bewegungen des Oberkörpers zu konzentrieren. Bei genauer Betrachtung kann man aber versteckte Tritte (besonders auf die Innenseiten des Oberschenkels / Knies des Gegners gerichtet), Kniestöße, sowie eine besondere Art der Hüftbewegung innerhalb des Naihanchi Dachi erkennen. Stellvertretend sei hier eine Technik mit dem Namen „Nami Gaeshi“ (zurückkehrende Welle) genannt werden, die mehrfach in der Naihanchi zu finden ist. Diese „versteckten“ Methoden erweitern die Einsatzmöglichkeiten der Kata in der Anwendung enorm, weil hieraus (im Zusammenspiel mit einem tiefen Stand) eine Vielzahl von Würfen ergeben. Zudem verwendet die Kata immer wieder Techniken die ein nahes Heranziehen des Gegners beinhaltet, um diesen zu kontrollieren oder mit verschiedenen Hebeltechniken zu immobilisieren.
Wie bereits erwähnt werden von Schule zu Schule unterschiedliche Stände verwendet. Neben dem „Naihanchi Dachi“, einem relativ bequemen, hohen Kiba Dachi, finden wir hier den Kiba Dachi, Shiko Dachi und manchmal sogar eine Art Sanchin Dachi, bei dem die Zehen nach innen gewendet werden. Dies entspricht den jeweiligen Präferenzen der Lehrer, die diese Version unterrichten. In unserer Version der Naihanchi stehen wir in der Kata relativ tief in Kiba Dachi, um einen stabilen Stand zu üben, und um Kraft in den Beinen zu trainieren. In der Anwendung der Kata wird der Stand automatisch höher, um mehr Mobilität zu gewährleisten.
Versionen der Fußstellung in der Naihanchi Kata
Warum ist die Naihanchi so wichtig?
Obwohl die Kata nur wenig Verwandtschaft zu den anderen Kata des Shorin Ryu zeigt (und wenn dann nur Auszugsweise), ist sie für viele Meister der Schlüssel zu den höheren Formen des Shuri Te. Itosu Anko, der die Kata vermutlich von Matsumura Sokon erlernte, wurde nicht müde seinen Schüler zu sagen „Karate beginnt und endet mit Naihanchi“. Aber auch andere Meister sind dafür bekannt, dass sie die Naihanchi als zentrale Kata betrachteten. Allen voran kann hier wohl stellvertretend Motobu Choki genannt werden, der beinahe seinen kompletten Kampfstil auf dieser Kata aufbaute. Motobu erlernte die Kata aus der Tomrai Te Linie über Matsumora Kosaku, und behauptete, dass die Naihanchi aus China importiert wurde. Leider können wir heute keine Kata mit diesem Namen oder einem solchen Bewegungsmuster in einem chinesischen Stil ausfindig machen.
Motobu selbst war ein gefürchteter Straßenkämpfer seiner Zeit, der seine Kunst regelmäßig im Rotlicht Viertel von Naha testete. Er war bekannt für seine Überlegenheit gerader in der engen Distanz, in der er die Techniken der Naihanchi Kata gekonnte zur Anwendung brachte. Gerade diese Anwendung auf engstem Raum macht die Kata im Shorin Ryu zu etwas besonderem. Denn obwohl viele Kata eine etwas größere Distanz benutzen (anders als im Goju Ryu, das ebenfalls auf den Nahkampf ausgerichtet ist) ist die Naihanchi in dieser engen Distanz zu Hause. Vielleicht hat sie Funakoshi Gichin in seinem 1936 erschienen Buch „Karate Do Kyohan“ auch dem Shorei Ryu, und somit dem Naha Te zugeordnet? Sicher ist, dass die Naihanchi in keiner ihrer Versionen in den heute bekannten Naha Te stämmigen Stilen erhalten oder überliefert wurde. Dennoch ist heute klar, dass Miyagi Chojun, der Begründer des Goju Ryu, die Naihanchi als eine der wichtigsten und grundlegenden Formen betrachtete, und sie fester Bestandteil seines ursprünglichen Unterrichtsprogramms war. Warum sie den Weg in sein neu begründetes Goju Ryu nicht fand, ist bis heute unklar.
Anbei findet ihr noch einen Futari Geiko Partner Drill aus der Naihanchi, den ich zusammen mit Axel Heinrich aufgenommen habe. Axel hatte den Wunsch, diesen Drill umzusetzen, und er ist von einem Video von Jesse Enkamps Karate Nerd inspiriert.
https://www.youtube.com/watch?v=jSBwDrkqyRw&feature=youtu.be
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