Karate ni sente nashi Teil 1

Karate ni sente nashi 空手に先手 なし -

 

Es gibt keinen ersten Angriff im Karate

 

 

Wenn wir die philosophischen Hintergründe des Budo im allgemeinen und des Karate im Besonderen studieren, wenden wir uns oft an die Aussagen der alten Meister. Dabei beziehen wir uns gerne auf Größen wie Takuan Soho, oder aber auch an die Pioniere des modernen Karate. Dann fallen Namen wie Funakoshi, Miyagi oder Mabuni, welche die heute verbreiteten Stilrichtungen des Karate formulierten.

 

Wann immer ich ein solches Zitat lese, oder wenn ich selber eines verwende, frage ich mich, ob ich es ernsthaft verstanden habe. Habe ich mich ausreichend mit der Materie, mit der Aussage beschäftigt?

Ein oft ausgereiztes Thema ist dabei Karate ni sente nashi – es gibt keinen ersten Angriff im Karate! Doch was bedeutet das? Wollten uns die Meister der Vergangenheit damit erklären, dass wir immer auf einen ersten Angriff zu warten haben? Ist das realistisch? Oder doch nur leeres Geschwätz, ein Lippenbekenntnis, um in der damaligen Budo Szene der japanischen Hauptinsel Fuß zu fassen?

 

 

Die Fürsprecher der Theorie, dass es tatsächlich keinen ersten Angriff im Karate gibt, verweisen oftmals auf die „Tatsache“, dass die erste Bewegung in jeder Kata von defensiver Natur wäre. So beginnt zum Beispiel die Kata Heian Shodan (die erste der Heian Serie, die im Shotokan unterrichtet wird) mit einem Block (Gedan Barai). Dies, so geht die Theorie weiter, sei ein klares Zeichen dafür, dass man zuerst blocken müssen, um anschließend mit einem Tsuki zu kontern.

 

 

Sehen wir uns den Vorläufer der Heian Shodan, die Kata Pinan Nidan, an, so bemerken wir sehr schnell, dass hier die erste Technik keine Blocktechnik, sondern vielmehr ein Tetsui Uchi (Hammerschlag) ist. Und selbst wenn wir zuerst eine Blocktechnik ausführen würden, sagt das nicht aus, dass wir wirklich blocken!!

 

 

Doch bevor wir uns ein eigenes Bild von ni sente nashi machen, fragen wir zuerst die Meister, die uns diese Philosophie übermittelt haben.

 

 

Miyagi Chojun, Begründer des Goju Ryu Karate, hinterließ uns mit „Karatedo Gaisetsu“ ein Schriftstück, in welchem er kurz Bezug zu diesem Thema nimmt. Den kompletten Text findet der interessierte Leser in Patrick McCarthy´s Buch „Ancient Okinawan Martial Arts“.

 

„Die volkstümliche Überlieferung beinhaltet, dass die Lehrmethoden der alten Zeit sich hauptsächlich auf die Selbstverteidigung fokussierten, ohne dabei großen Wert auf das Training des Geistes oder die Heranbildung des Konzeptes Karate ni sente nashi zu legen. Ich habe die Ablehnung dieses wichtigen Konzeptes beobachtet, obwohl sich im Laufe der Zeit die Lehrmethoden verbessert haben, und dieses Ungleichgewicht wurde zum größeren Teil behoben.

 

 

Es ist meine Überzeugung, dass die Faust und Zen eins sind (Ken Zen Ichi). Zusammen kultiviert diese Balance den Intellekt vor der Kraft. Die Überlieferung der essentiellen Budo Gebote muss gefördert werden.“

 

Miyagi Chojun, Begründer des Goju Ryu Karate
Miyagi Chojun, Begründer des Goju Ryu Karate

Miyagi sah also Karate klar als Budo, und somit war ihm die Förderung und Vermittlung der geistigen Hintergründe des Budo ein persönliches Anliegen. Für ihn, so scheint seine Aussage, war es klar, dass es keinen ersten Angriff im Karate geben kann. Doch was genau bedeutet das?

 

 

 

Sehen wir weiter, und wenden uns an Mabuni Kenwa, Begründer des Shito Ryu Karate. Als Zeitgenosse von Miyagi war er nicht nur Schüler einiger der größten Meister dieser Zeit (vor allem sind hier Higaonna Kanryo und Itsou Anko zu nennen, auf deren Namen auch die Namensgebung des Shito Ryu zurück geht), er galt auch als ein Genie im Bereich der Kata. Mabuni kannte eine Unzahl von Kata, und damit nicht genug, er beherrschte auch ihre Anwendung. Zudem hinterließ dieses Genie eine große Anzahl von schriftlichem Material, und war einer der ersten, die überhaupt Bücher zum Thema Karate veröffentlichte.

 

 

In seinem Buch „Kobo kenpo karate-do nyumon“ schreibt Mabuni folgendes:

 

„Es gibt ein Gebot des Karate ni sente nashi. Richtig verstanden verweist dies auf die mentale Einstellung, keinen Kampf zu beginnen. Diese Lehre soll vermitteln, dass, nur weil jemand Karate gelernt hat, er nicht das Recht hat andere unüberlegt zu schlagen oder zu treten.

 

 

Wie es scheint gibt es zwei fehlerhafte Interpretationen dieses Gebotes, das ich hier richtigstellen möchte.

 

 

Die erste wird von Menschen vertreten, die kein Karate betreiben. Solche Menschen sagen „In allen Kämpfen wird die Gelegenheit zum Sieg ergriffen, indem der Gegner direkt attackiert wird. Eine passive Einstellung wie Karate ni sente nashi stimmt nicht mit dem japanischen Budo überein!“.

So eine Ansicht vergisst den eigentlichen Zweck des Budo: Bu ist das Ideal den Speer anzuhalten, und strebt den Erhalt des Friedens an.

 

 

 „Die zweite falsche Interpretation findet man unter manchen die Karate praktizieren. Sie sehen sente nashi nicht als Einstellung, sondern nehmen es wörtlich, ein Gesetz dem man starr zu folgen hat. Wie bereits erwähnt, wenn es absolut notwendig ist, und man dem Kampf bereits gegenübersteht, ist es eine anerkannte Wahrheit der Strategie, dass man versuchen sollte sensen no sen anzuwenden, und dem Gegner so zuvor zu kommen.“

 

 

Mabuni Kenwa, Begründer des Shito Ryu Karate
Mabuni Kenwa, Begründer des Shito Ryu Karate

Mabuni differenziert hier also. Er sieht sente nashi klar als Einstellung, als Konzept, keinen Kampf zu erzwingen, wenn man ihm ausweichen kann. Aber er bringt ein wichtiges Element in seine Ansicht, die des sensen no sen, auf das ich später noch eingehen möchte.

 

Wie es weiter geht, lest ihr bitte im zweiten Teil dieses Artikels, in dem wir noch einen weiteren Meister des Karate "befragen", und einen tiefen Einblick in die verschiedenen Strategien in Zusammenhang mit Karate ni sente nashi unternehmen. Stay tuned ;-)

 

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