Sanchin Atmung – Gefahr für Körper und Gesundheit? Teil 2

Viele der heute vorherrschenden Mythen bezüglich der Schädlichkeit für die Gesundheit und die angebliche Lebenszeit verkürzende Wirkung der Sanchin Kata basiert auf dem relativ frühen Tod von Goju Ryu Begründer Miyagi Chojun (* 25. April 1888 in Naha, Okinawa; † 8. Oktober 1953). 65 Lebensjahre sind für die hohe Lebenserwartung auf Okinawa wenig, da hier die weltweit höchste Ansammlung von über 100-jährigen besteht (verschiedene Studien sprechen von ca. 15 % (Willcox, Willcox & Suzuki). Mit über 81 Jahren durchschnittlicher Lebenserwartung liegt Okinawa heute weltweit ebenfalls an Platz 1.

 

http://okicent.org/

 

 

 

Bei dieser auf Zahlen basierenden Sicht werden allerdings die allgemeinen Lebensumstände außer Acht gelassen, welche zu Miyagis Lebenszeit auf Okinawa herrschten. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges war Okinawa ein Kriegsschauplatz, welcher enorme Opfer forderte, vor allem bei der Zivilbevölkerung. Miyagi verlor hier nicht nur seinen designierten Nachfolger Shinzato Jinan, sondern auch mehrere Familienangehörige. Nach dem Krieg mussten sich die Menschen völlig zerstörten Okinawa neu orientieren, und ähnlich dem Nachkriegsdeutschland musste alles wiederaufgebaut werden. Dabei herrschten teilweise unmenschliche Zustände, da es nicht nur an Unterkünften, sondern vor allem auch an Nahrung mangelte. Ein Zustand, der u.a. zum Hungertod von Kyan Chotoku führte. Dieser hatte sich entschlossen, seine knappe Ration an hungernde Kinder in der Nachbarschaft zu verteilen. Angesichts dieser Lebensumstände ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Lebenserwartung in dieser Zeit massiv sank. Dennoch lag Miyagis Lebenszeit deutlich über den durchschnittlichen Lebenserwartungen dieser Zeit, was in diesem Video klar herausgestellt wird:

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=AW9kT_VrCpM

 

 

 

Diesen Bericht finde ich vor allem daher interessant, will Dr. Guiterrez nicht „nur“ Mediziner und College Professor ist, sondern auch Karateka. Auch er kommt zu dem Schluss, dass die körperliche Belastung, welche während der Kata Sanchin entsteht, für einen gesunden Menschen unbedenklich ist. Vor allem seine Anmerkung über vergleichbare Übungen, welche u.a. bei Asthmapatienten erfolgreich eingesetzt werden, zeigen, dass die Sanchin durchaus mehrere gesundheitsfördernde Aspekte hat, als manche uns glauben machen wollen.

 

 

Ein ebenfalls spannender Artikel von Bill Glasheen, Doktor Medizintechnik sowie Karateka aus dem Bereich Goju Ryu und Uechi Ryu, verweist nochmals auf den Verzicht auf das Valsalva Manöver, unterstreicht aber auch die Notwendigkeit einer „Pressatmung“ bei höheren Belastungen.

 

 

 

http://uechi-ryu.com/sanchin-breathing-are-you-hurting-yourself/

 

 

 

 

Der Autor, bei der Ausübung einer "harten" Sanchin Übung
Der Autor, bei der Ausübung einer "harten" Sanchin Übung

 

 

Viele meiner Schüler und Leser wissen, dass ich ein großer Fan von Pavel Tsatsouline, dem „evil Russian“ und Kettle Bell Guru bin. Pavel beschreibt schon lange die Vorteile der so genannten „power breathing“ Techniken, eine Methode, die tatsächlich dafür sorgt, dass man schwerere Gewichte bewegen kann, als ohne diese Atemtechnik. Laut Pavel haben russische Wissenschaftler schon lange herausgefunden (leider gibt er hierfür keine ausreichenden Quellen an), dass durch diese Art der Pressatmung der sogenannte IAP (Intra Abdominal Pressure) steigt. Dieser gesteigerte IAP hat zwei wichtige Effekte, welche auch für Kampfkünstler relevant sind, und während der Übung der Sanchin zum Zuge kommen:

 

 

1.      IAP steigert die Kontraktion der gesamten Muskulatur, und führt zwangsläufig zu einer verbesserten Leistung der Muskeln

 

2.      IAP stabilisiert die Körpermitte maßgeblich, und verhindert so eine Verletzung des Rückens sowie der inneren Organe bei extremen Belastungen.

 

 

Beides Faktoren, die ich aus jahrzehntelanger Erfahrung bestätigen kann. Gerade für den zweiten Punkt habe ich eine unschöne Anekdote, welche aber die extreme Wirkung veranschaulicht. Einer meiner Freunde und Schwarzgurt Schüler hatte vor einigen Jahren einen schweren Motorradunfall, bei dem er in ein entgegenkommendes Fahrzeug raste. Als ihm klar wurde, dass er nicht mehr ausweichen konnte, und ein Aufprall unvermeidlich war, erinnerte er sich im Bruchteil einer Sekunde an meine Worte „Wenn´s knallt, dann Sanchin“.  Er übte im Moment des Aufpralls die Sanchin Atmung aus, und spannte seinen Körper an. Die Ärzte in der Unfallklinik, in die er eingeliefert wurde, konnten ihren Augen kaum glauben. Bei solchen Unfällen haben die eingelieferten Patienten fast immer massive innere Verletzungen, da der Körper einen solchen Aufprall nicht kompensieren kann. Sein Körper konnte es, denn er hatte keinerlei inneren Verletzungen!

 

 

Pavel propagiert diese Art der Pressatmung mit großem Erfolg, und ich rate jedem, der sich für das Krafttraining interessiert, seine Bücher zu lesen. Besonders diejenigen, die Hojo Undo (das traditionelle Krafttraining, welches in den Dojo in Okinawa praktiziert wird) praktizieren, werden von seinen Einsichten massiv profitieren, wenn sie die richtige Atmung einhalten.

 

 

 

https://archive.org/details/PavelTsatsoulinePowerToThePeople

 

 

 

Grundsätzlich muss wohl gesagt werden, dass es viele Vor- und Nachteile für das Üben der Sanchin gibt. Wie bei allen Belastungen kommt es dabei ganz klar auf eine korrekte Ausführung an, und natürlich auf ein „gesundes Maß“. Zudem muss jeder für sich abwägen, was er sich von dieser Übung erwartet. Um die tatsächliche Wirkung der Sanchin Kata wissenschaftlich belegen zu können, bedarf es jedoch einer ernstzunehmenden Studie, welche meines Wissens nach bis heute gänzlich fehlt. Diese sollte nicht nur von Fachärzten durchgeführt werden, die etwas von der Materie verstehen (im besten Fall solche, die selbst Karate betreiben), sondern auch Probanden heranziehen, die die unterschiedlichen Ausführungen der Sanchin verinnerlicht haben. Nur so kann eine aussagekräftige Studie geschaffen werden, die tatsächliche Aussagekraft besitzt.

 

 

Abschließend muss gesagt werden, dass es überhaupt zu dem Thema Valsalva Manöver und IAP in Verbindung mit körperlicher Belastung / sportlicher Betätigung keine ausreichenden Studien gibt. Unter folgendem Link findet ihr eine hochinteressante Vergleichsstudie. Hier wurden tausende Studien aussortiert und deren Ergebnisse in Relevanz zum oben genannten Thema verglichen. (Achtung, das ist ein heftiges Werk, und ist in Englisch eschrieben 😉 ):

 

 

 

https://journals.lww.com/nsca-jscr/Fulltext/2013/08000/The_Valsalva_Maneuver___Its_Effect_on.39.aspx

 

 

 

Zusammenfassend schreibt der Autor der Studio, Dr. Daniel Hackett, dass das Valsalva Manöver als natürlicher Reflex des Körpers einzustufen ist, der dazu dient, den Rücken bei Belastung zu schützen. Daher sollte dieser Reflex nicht unterbunden werden, solange er nicht länger als 3 Sekunden durchgeführt wird. Es bleibt also spannend ;- )

 

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