Enzan no Metsuke - Was kuckst du?

In den Kampfkünsten beschäftigen wir uns mit tausend Dingen. Mit der richtigen Haltung der Arme, Positionierungen von Händen und Füßen, und mit entsprechenden Stellungen, sowie mit vielen, vielen Dingen mehr. Neben den rein körperlichen Aspekten scheinen entscheidende Elemente wie innere Haltung, geistige Einstellung und, ja, der richtige Blick (??) eher eine untergeordnete Rolle einzunehmen. Verständlich, nimmt doch die wenige Zeit, die uns in unserem stressigen Alltag für das eigentliche Training bleibt, so wie so schon zu kurz zu sein, um die Technik allein zu meistern.

 

 

 

Ist es denn wichtig, wohin genau ich schaue? Klar, ich muss meinen Übungspartner sehen, sonst sehe ich im Ernstfall auch meinen Gegner nicht. Ich muss die Augen offen halten, damit ich sehe was mein Sensei mir zeigen will. Zudem muss ich auch den Raum um mich herum wahrnehmen, damit ich meine Position in diesem Raum bestimmen kann, und mögliche Einschränkungen oder Fluchtmöglichkeiten rechtzeitig zu erkennen. Das, und vieles mehr, vereint sich in einem Begriff, den man in den japanischen Kampfkünsten als „Enzan no Metsuke“ bezeichnet.

 

Nun, mir ist natürlich klar, dass dies eine Begrifflichkeit ist, die den klassischen japanischen Kampfkünsten entspringt, und die man heute wohl eher in Schwertkünsten oder auch dem Kendo wiederfindet, und somit nicht unbedingt eine Relevanz im Karate zu haben scheint. Schließlich wird Karate heute oftmals als Budo bezeichnet, aber auch hier scheinen sich die Geister zu scheiden. Also was sagt denn „Enzan no Metsuke“ aus?

 

 

Übersetzt bedeutet es wohl so viel wie „der Blick auf einen fernen Berg“. Wie beinahe alles in den traditionellen Weg Schulen Japans eine sehr philosophisch anmutende Übersetzung. Was haben die Kampfkünste denn mit einem Blick in´s Gebirge zu tun? Natürlich ist Enzan no Metsuke metaphorisch gemeint. Es beschreibt einen Blick, der nicht an eine einzelne Stelle „geheftet“ ist, sondern einen Blick für das große Ganze. Wenn wir aus einer gewissen Entfernung einen Berg betrachten, und uns von seinem mächtigen Erscheinungsbild vereinnahmen lassen, richten wir unseren Blick zuerst auf das große Ganze, auf den Berg in seiner kompletten Größe. Wir erkennen seine Konturen, sehen seine Silhouette gegen den Himmel im Hintergrund, und lassen uns zunächst nicht von Einzelheiten ablenken. Details, wie einzelne Gipfel, Bäume und Bachläufe, oder Schneefelder und kleine Hütten in der Nähe des Gipfels erspähen wir erst auf den zweiten Blick. Doch obwohl wir unser Auge nicht auf diese Kleinigkeiten richten, entgehen sie uns nicht! Wir nehmen sie trotzdem wahr.

 

Enzan no Metsuke soll genau diese Art der Betrachtung beschreiben. Wir sehen unseren Gegner in seiner ganzen Erscheinung, sehen alles von Kopf bis Fuß, ohne dabei von Einzelheiten abgelenkt zu sein oder diese zu werten. Unsere Konzentration lässt sich nicht auf seine auf uns gerichtete Waffe lenken, und auch seine Körperhaltung lässt uns nicht in einen See aus Gedanken fallen. Sein auf uns ruhender „böser Blick“, gedacht um uns unsere Entschlossenheit zu nehmen, entgeht uns zwar nicht, zieht aber auch unseren Fokus nicht auf sich. Wir sehen unseren Gegenüber ganz!

 

Oftmals wird diese Art des Blicks als „periphere Sicht“ bezeichnet, und zu einem großen Teil ist Enzan no Mestuke genau das. Gleichzeitig müssen wir jedoch unseren Blick schulen, uns daran gewöhnen alles zu sehen, kein Detail zu verpassen, und gleichzeitig das Ganze nicht verschwommen zu sehen oder es gar aus den Augen zu verlieren, weil wir uns in einem Detail verloren haben. Das klingt zu Beginn sehr einfach, doch wer schon einmal mit einem Partner geübt hat, der einen mit Bo oder einem Bokken bedroht hat, der weiß genau, wie schwer es fällt sich nicht auf die Spitze dieser Waffe zu konzentrieren. Gerade jetzt muss ich die Spitze sehen, aber vor allem auch den Gegner HINTER der Waffe, denn dieser bewegt das Ding schließlich! Gerade in solchen Situationen ist Enzan no Metsuke, der alles beobachtende und durchdringende Blick,  eine starke Waffe um nicht nur unseren Gegner im Blick zu behalten, sondern auch unsere eigenen Gedanken. Das kleine Männchen in unserem Ohr, das sich ständig neue Szenarien ausdenkt, was der Gegner als nächstes tun könnte. Das uns zig Möglichkeiten aufzeigt, was wir dagegen unternehmen könnten. Und das im Moment des Angriffes plötzlich zögert, und voller Zweifel ist. Enzan no Metsuke, der Blick auf einen fernen Berg, lässt sich nicht überraschen, und ist auf Grund seiner freien, nicht-bewertenden Art die Quelle für die innere Ruhe eines jeden Kampfkünstlers. Wenn man es übt…………….

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