Bunbu Ryu Do - Pinsel und Schwert sind eins
Um ganz ehrlich zu sein bin ich kein Experte der japanischen Kalligraphie. Wie die meisten anderen Budoka stehe ich vor diesen wunderschönen Kunstwerken mit offenen Mund, bestaune die simple Schönheit der kraftvollen Linien, die die Tusche des Künstlers auf dem Papier hinterlassen hat und krame in meinem Gehirn nach den ein oder zwei Kanji, die ich im Laufe meiner Budo Laufbahn aufgeschnappt habe nach einer Bedeutung des geschriebenen.
Zu meinem großen Glück ist jedoch meine Sensei ein begnadeter und gesuchter Kalligraphie Meister. Hokama Sensei wurde sogar schon die Ehre zuteil, für die Empfänger des Titels "lebender Kulturschatz" Kalligraphien im Auftrag des japanischen Kaiserhauses anzufertigen. Er hat diese besondere Art seinen Pinsel über das Papier gleiten zu lassen, und obwohl ich eben kein Experte bin, wäre ich in der Lage seine Kunstwerke unter tausenden sofort wieder zu erkennen.
Als Sensei eines Tages eine große Kalligraphie für mein Dojo erstellte beobachtete ich ihn dabei sehr genau. Mit welcher Konzentration er an die Sache heranging, ohne dabei verkrampft oder angespannt zu wirken, mit welchen fließenden Bewegungen er seinen Pinsel führt, immer die Größe des Papiers und die Relationen der Schriftzeichen beachtend. Ich hatte ihn schon oft bei der Kalligraphie beobachtet, doch dieses Mal erkannte ich es: Sein Budo und seine Kalligraphie waren eins!!! Aus demselben Guss! Fließend, kraftvoll ohne dabei Kraft zu verschwenden, zügig ohne nachzudenken und dennoch konzentriert, mit einem Ergebnis das trotz (oder gerade durch) seiner Einfachheit eine eigene Ausstrahlung und Schönheit besitzt.
Wie in den Kampfkünsten ist das Führen des Pinsels final. Ein Fehler, und man kann ihn nicht mehr korrigieren. Sowohl Schwert als auch Pinsel hinterlassen ein "Strich" dessen Ergebnis deutlich sichtbar ist, der endgültig ist und der sich mit keiner Macht der Welt rückgängig machen lässt.
Aber das ist nur eine von vielen Parallelen zwischen diesen Künsten. Wie Eingangs erwähnt würde ich trotz meiner mangelnden Expertise die Kalligraphien meines Lehrers immer wieder erkennen.
Oft erkläre ich meinen Schülern eine Bedeutung der Kata indem ich sie mit den Buchstaben unserer Schrift vergleiche. Am Anfang erlernen wir die Buchstaben einzeln, ohne ihren Zusammenhang und ihre tiefere Bedeutung zu erkennen. Zuerst geht es eigentlich darum sich die jeweiligen Formen der Buchstaben einzuprägen und diese möglichst sauber und exakt zu reproduzieren. Erst später fügen wir die Buchstaben zu einzelnen Worten und dann sogar zu vollständigen Sätzen zusammen. Selbst dann gibt es noch viele Unterschiede von Schreiben, zum Beispiel das Diktat (bei dem wir einen zuvor definierten Text nur nachschreiben) oder den Aufsatz (bei dem unsere eigene Kreativität gefragt ist). Letztlich entwickeln wir jedoch alle eine Besonderheit: Unsere Handschrift! Diese weicht teilweise massiv von den vorgegebenen, genormten Formen ab und kann dennoch von vielen (manchmal jedoch auch nur von Apothekern) gelesen werden. Sollte unser Budo, unsere Art der Ausführung der Bewegungen und unsere Interpretation nicht auch eine unverkennbare, eigene und somit einzigartige Handschrift tragen?
Kommentar schreiben
Julian (Montag, 27 November 2023 08:38)
Hi!
Die Übersetzung "Pinsel und Schwert sind eins" für Bunbu-Ryôdô ist etwas unglücklich. Denn dafür gibt es eigentlich den Ausdruck Bunbu-Itchi. Bunbu-Ryôdô meint hingegen den gemeinsamen Weg, den zweifachen Weg von Pinsel und Schwert. (Über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Ausdrücke könnte man jetzt natürlich noch mehr schreiben und diskutieren.)
Grüße,
Julian